Windschild nach Bruch: Puzzleteile kaltverschweißen

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Korbi
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Windschild nach Bruch: Puzzleteile kaltverschweißen

#1 Beitrag von Korbi » Di 18. Aug 2015, 17:38

Hallo,

nach erfolgter Tat möchte ich kurz berichten.

Ausgangslage: Umgefallene Vespa, Windschild eingerissen und zwei Teile abgesplittert.
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Benötigtes Werkzeug:
- Bruchstücke der Scheibe
- Putzlappen
- Cuttermesser / scharfes Küchenmesser
- Einwegspritze mit großer Kanüle
- Schleifpapier, Körnung zwischen 200-400
- Tesa
- Spiritus
- Revell Contacta Professional oder vegleichbarer Kleber (=Polystyrol in Lösungsmittel gelöst). Eine Tube genügt. Mit Kanüle ist hilfreich, geht aber auch ohne.
- Dichlormethan/Methylenchlorid oder Aceton (Dichlormethan gibt es in den meisten Apotheken, man muss aber Auskunft geben was man damit macht. Alternativ bei Modulor zu bekommen. Davon genügt gaaanz wenig, ich habe nicht mal 10 ml gebraucht.)

Optional:
- Poliermaterial für klarsichtigen Kunststoff

Vorbereitung:
1. Scheibe abbauen (klar oder?)
2. Befestigungsmaterial in der Nähe der Klebestellen entfernen (steht höchstens im Weg und wird mit den Dämpfen sicher nicht besser)
3. Scheibe in der Nähe der Klebestellen saubermachen. Dreck nützt nichts, kann aber jede Menge Schaden anrichten. Insbesondere die Bruchkanten sollten schön sauber sein.

Durchführung:
1. Damit das Dichlormethan bzw. das Aceton schön mit Kapillarwirkung einzieht ist es hilfreich, wenn man an den Kanten der Bruchstellen eine Fase anbringt. Dazu mit dem Messer im steilen Winkel ein paar Mal über die Kanten ziehen.
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Dabei sollten sich kleine "Fäden" abschaben lassen.
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Vorher/Nachher:
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2. Für eine bessere und belastbarere Verklebung wird die Bruchkante angeschliffen.
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3. Die Puzzleteile werden zunächst mit Tesa (oder Isolierband oder was halt grad da ist) fixiert. Tipp: Tesa am Ende einmal einschlagen, erleichtert das Entfernen sehr!
Dabei nur an wenigen Stellen von beiden Seiten fixieren.
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Bei Aufnahme von flüssigem Dichlormethan - auch über die Haut - treten Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Appetitlosigkeit, bis hin zu narkoseähnlichen Zuständen auf. Die Dämpfe sind schwerer als Luft. Bei der Verbrennung von Dichlormethan kann das gasförmige, hochgiftige Phosgen entstehen. Für Dichlormethan besteht der Verdacht auf krebserzeugende Wirkung. In Wasser gelöst schädigt es Kleinorganismen wie Daphnien.
Beim Umgang mit Dichlormethan sollte Schutzkleidung einschließlich Handschuhen getragen werden. Latex- oder Nitrilhandschuhe sind nicht ausreichend. Stattdessen sollten Handschuhe aus Viton oder Butylkautschuk verwendet werden. Butylhandschuhe sollten jedoch nur als Spritzschutz eingesetzt werden, da die Durchbruchzeit bei 8 Minuten liegt. Die Lagerung dieser Verbindung sollte in einem Temperaturbereich zwischen +15 bis +25 °C erfolgen. Dichlormethan darf keinesfalls mit metallischem Natrium oder anderen Alkalimetallen in Kontakt kommen, weil dies zu Explosionen führen kann.[1]
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Also aufpassen, was man damit macht. Beim Träufeln Luft anhalten und im Freien arbeiten.
Alternativ dazu sollte auch Aceton gehen, allerdings lässt es sich damit nicht ganz so schnell verschweißen. Ist aber billiger, ungefährlicher und einfacher zu bekommen.

4. In die Einwegspritze ein paar ml Lösungsmittel aufziehen.

5. Das Lösungsmittel zwischen den Klebebandstreifen in die Naht träufeln. Punkte genügen, diese Punkte dienen nur der Fixierung (=Punktschweißen).
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6. Je nach verwendetem Lösungsmittel muss man unterschiedlich lang warten. Bei Dichlormethan genügen etwa zwanzig Sekunden.
7. Vorsichtig Tesastreifen entfernen.

8. In die Naht großflächig Lösungsmittel geben, durch die Kapillarwirkung zieht das Lösungsmittel von selbst in den Spalt ein. Warten und von der anderen Seite wiederholen. Ggf. ein paar Mal machen, schadet nicht. Dabei vermeiden zu kleckern, gibt sonst matte Flecken auf der Scheibe.

9. Trocknen lassen.

10. Nach erfolgter Verschweißung wird die Fase wieder mit dem angesprochenen Contacta-Kleber aufgefüllt. Dazu einfach mit der Tube eine "Wurst" auf die Naht laufen lassen.

Trocknen lassen. Die Verbindung ist genauso fest wie vor dem Bruch. Windschutzscheiben sind in der Regel aus einem Polycarbonat gefertigt, weil Polycarbonat sehr gute Eigenschaften bezüglich Schlagfestigkeit und Splitterbildung aufweist. Polycarbonat ist nicht beständig gegen aggressivere Lösungsmittel. Wenn man Dichlormethan in die Naht laufen lässt wird die Kante angelöst und vermischt sich mit dem Material der gegenüberliegenden Kante. Die so entstandene Naht ist völlig klar und bildet wieder ein stabiles Gefüge, eine "Klebekante" im eigentlichen Sinn gibt es nicht. Im Modellbaubereich ist das Kaltverschweißverfahren üblich und im Motorradbereich wird es auch für ABS-Verkleidungen eingesetzt (funktioniert auch an unseren Lenkerverkleidungen!). Der Revell-Kleber ist nur dazu da, die durch die Fase verringerte Materialstärke wieder auszugleichen.

Ein erster Handbiegetest war erfolgreich, bricht nicht und ist elastisch. Wie sich die Scheibe praktisch schlägt wird sich im Laufe meines Urlaubs zeigen. Man sieht die Klebekante deutlich, aber ist billiger als eine neue Scheibe und dreckig wird die Scheibe sowieso wieder. :genau:

Vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen. Wer Fragen hat her damit.

Nachtrag weil vergessen: So sieht die fertige Klebenaht aus.
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Anmerkung:
"Scheibe hat einen Sardinienurlaub und seitdem etwa 7000 km überstanden. Keine Probleme absehbar. Kann ich also guten Gewissens empfehlen."

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